Cookie Consent by Free Privacy Policy Generator website "Einfach das Ende der Welt" - Oder doch nur eine total normale Familie? | Theatergemeinde metropole ruhr | Ihr Weg zur Kultur

"Einfach das Ende der Welt" - Oder doch nur eine total normale Familie?

Jean-Luc Lagarces Drama im Bochumer Schauspielhaus

Benjamin Lillie stromert als namenlose Bühnenfigur und Protagonist nach zwölf Jahren Abwesenheit durch die Wohnräume seiner Kindheit und Jugend. Jonathan Mertz hat die einzelnen Räume authentisch und detailverliebt ausgestattet, eine kleinbürgerliche Szenerie, teils vertraut, teils peinlich berührend. Der Heimkehrer sieht die Requisiten durch sein drittes Auge, den Monitor seiner Videokamera. Im Heranzoomen schafft das Nähe, gleichzeitig aber Distanz zum früheren Leben und den Details der Erinnerung. Die Erkundung wird untermalt durch Schlagzeugspiel und Soundtrack von Matze Prollock, der nicht nur für den richtigen Rhythmus sorgt, sondern sich später als Liebe seines Lebens herausstellt. Ein inniger Bühnenkuss der beiden, untermalt von "I’ll fly with you", verweist auf das Entstehungsjahr 1990 der ersten Bühnenfassung und die damals grassierende Virusseuche Aids. Tragischerweise verstarb Lagarce wie andere große Dramatiker seiner Zeit an Aids. Er wurde nur 38 Jahre alt. Auch der Protagonist kehrt, von schwerer Krankheit gezeichnet, mit 34 Jahren in das Haus seiner Vergangenheit zurück.

Die frühe Pause im Stück ist auch eine dramatische Zäsur. War zuvor das Bühnenbild überaus realistisch, herrscht jetzt eine Leere vor. Die Akteure füllen den Raum. Unangekündigt überrascht, herrscht große Aufregung in der Familie. Ulrike Krumbiegel als Mutter tanzt wild herum. Der Heimkehrer genießt zuerst das Wohlwollen und die Vorteile eines verlorenen Sohnes. Schnell kippt die Stimmung: Der jüngere Bruder (Nils Kahnwald) ist Familienvater und Handwerker und kann mit der elitär und abgehoben empfundenen Lebensweise des Älteren nichts anfangen. Fühlte er sich nicht genötigt, den Verlust des Bruders gegenüber der Mutter durch besondere Nähe zu kompensieren? Gleiches gilt für die "kleine" Schwester (Wiebke Mollenhauer), die ihm vorwirft für die Mutter da sein zu müssen und ihr eigenes Leben bisher verpasst zu haben. Am wenigsten mit der Familiengeschichte vorbelastet scheint die Schwägerin (Maja Beckmann) zu sein.

Regisseur Christopher Rüping reduziert Details der Vorlage (z. B. haben hier die Figuren noch Rollennamen) auf das eigentliche Thema, die Dysfunktionalität in einer Familie, wenn Egozentrik in Konfrontation mündet.
Die Akteure sind dabei ein eingespieltes Team, mit Benjamin Lillie, Ulrike Krumbiegel, Nils Kahnwald, Wiebke Mollenhauer und Maja Beckmann schon Ende 2020 in der Züricher Uraufführung des Dramas erfolgreich. Die Besetzung ist herausragend. Die Nennung der Schauspielpreise würde den Rahmen sprengen. Die Akteure begeben sich auf eine Gradwanderung zwischen Nähe und Distanz, vermeintlicher Belanglosigkeit und tieferer Bedeutung, Wunsch und Wirklichkeit und wissen das Publikum zu überraschen. Exemplarisch hier hervorzuheben ist der Wandel der Rollenfigur "Schwägerin" durch Maja Beckmann, wie sie zuerst ganz naiv aus dem Familienalltag plaudert, aber bald die Beziehungsunfähigkeit in der Familie erkennt. „Es geht immer nur um dich!“ und geschickt die Unfähigkeit zum echten Dialog durch einen eindimensionalen Monolog, der die nur fiktiven Fragen des Partners beantwortet, zeigt. Dabei überzeugt die unnachahmliche Körpersprache von Maja Beckmann! Ebenso einprägsam ist das Dreiergespräch der Geschwister über einen Besuch beim heimgekehrten Bruder in der Großstadt. Die Terminsuche wird zur Farce, eine mögliche Begegnung zur unerfüllbaren Fiktion.

Umso verstörender wirkt die Schlussszene, der Wiedervereinigungstanz der Familienmitglieder als Schattenspiel vor feuerrotem Bühnenhintergrund. Manches bleibt in der Inszenierung banal und aufgesetzt, wie das "Warming up" der anbiedernde Publikumsbefragung zu Beginn der Aufführung. Was bleibt ist der Fokus auf den "Kriegsschauplatz" Familie, mal komisch, meistens quälend. Wenn nur diese eine konkrete Familie einfach ein Sinnbild für das Ende der Welt wäre, wäre es erträglich. Erkennen wir uns in den Rollen wieder, wäre es aufrüttelnd oder verstörend. Neutralität ist unmöglich!

Großer Schlussapplaus für eine famose schauspielerische Leistung!
Rainer Hogrebe

Einfach das Ende der Welt | © Diana Pfammatter

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